Veronika Mayer

Jodel Polyphonie

Was verbindet uns, was bewegt und vernetzt uns? Die gesellschaftliche und kommunikative Funktion der Musik, durch gemeinsames Musizieren oder gemeinsame Konzerterlebnisse,... Mehr lesen

Bitte mit Kopfhörer zuhören

Konzept

Was verbindet uns, was bewegt und vernetzt uns?
Die gesellschaftliche und kommunikative Funktion der Musik, durch gemeinsames Musizieren oder gemeinsame Konzerterlebnisse, steht als vernetzendes Element im Mittelpunkt meiner Komposition.

Mit Bezug zu musikalischen Traditionen des ländlichen Raums habe ich als Klangmaterial einen Jodler aus der Steiermark gewählt: „Auf da Strah“, ein 4stimmiger Jodler aus dem Oberen Ennstal.
Die Ansingstimme des Jodlers ist sowohl im Original als auch in elektronischer Bearbeitung zu hören, dafür wird die Melodie in einzelne Teile zerlegt. Aus diesen entstehen tonale Frequenzbänder und wandern von einem Lautsprecher zum nächsten. Auch Melodieteile des Jodlers sind zu hören, immer dann, wenn (laute) Geräusche in der Umgebung erklingen.
So entstehen unterschiedliche harmonische und melodische Kombinationen – der Jodler bekommt durch die akustischen Signale der Umgebung und durch die 5 Agenten (Lautsprecher) seine Mehrstimmigkeit zurück.

Herzlichen Dank an Ursula Scribano, die den Jodler „Auf da Strah“ gesungen und mir die Aufnahme zur Verfügung gestellt hat.
Ursula Scribano:
www.singkraft.de
www.scribanissimo.de

Gedanken zur Realisierung der Klanginstallation – ein Bericht

* Vorweg

ICH MAG DEN ÖFFENTLICHEN RAUM NICHT. Nicht, um Kunst zu machen. Der öffentliche Raum ist immer eine Herausforderung – akustisch, gesellschaftlich, meteorologisch, stromtechnisch, … und vor allem schwer zu planen. Die Bedingungen sind unvorhersehbar, zu jeder Tageszeit klingt der Ort anders, das Wetter macht einen Strich durch die Rechnung, es gibt keinen Stromanschluss und Anrainer-Beschwerden, und nur mit großem Glück gibt es keinen mutwilligen Vandalenakt oder Diebstahl.
Aber der öffentliche Raum ist immer auch VERLOCKEND: Es ist schlicht und einfach schön, die Umgebung zu beschallen, mit eigens gestalteten Klängen zu bespielen, die experimentelle Musik mitten hineinzusetzen in den Alltag oder die Natur. Und dann HÖREN, mithören, zuhören, wie sich die Klänge in der jeweiligen akustischen Umgebung plötzlich verändern. Manches wird unhörbar, manches vermischt sich treffend und bekommt dadurch sogar eine besondere Note, oft weiß man nicht mehr, was real und was Klangkomposition ist. Vielleicht ist das so faszinierend daran! Die Möglichkeit, sich „hinein-zu-hören“ in ein Verschmelzen von (Klang)Welten, in das DURCHEINANDER von Hör-Erfahrungen, in eine Klangwirkung, die man so nicht erwartet hat.
Darum stelle ich mich doch wieder den Herausforderungen des öffentlichen Raums. Funktioniert es nicht doch – die Klanginstallation aus dem Kunstraum in den öffentlichen Raum zu versetzen und Menschen zufällig damit zu konfrontieren? Vielleicht gibt es sogar ein positives Echo darauf? Vielleicht hört jemand, was ich zu hören geglaubt habe…

* Die allererste Frage, wie gewohnt

WAS WIRD (ER)KLINGEN?
Welches Geräusch, welcher Klang? Warum exakt dieser Klang, dieses Geräusch?
Und was wird uns mit diesem Klang vermittelt? Welche Wirkung hat dieser spezielle Klang? Weckt er Assoziationen? Und wenn ja, SOLL DAS SO SEIN?

* Frage Nr. 2

Wie kann ich mit dem technischen Setup MUSIKALISCH ARBEITEN?
In diesem Projekt steht das technische Equipment von Anfang an fest: Ich habe 5 Agenten zur Verfügung, jeder dieser Agenten besteht aus 1 RaspberryPi, 1 Lautsprecher (also mono), 1 Mikrofon, Open Source Software, Solarenergie.
UNVERRÜCKBAR – das bleibt so: Nichts Weiteres hinzuzufügen, wegzulassen oder auszutauschen, dazu neigt man sonst gerne im kreativen Prozess, während des Auslotens von Möglichkeiten und Ideen. EINE EINSCHRÄNKUNG!
Trotzdem macht das die Entscheidungen nicht leichter, es gibt unzählige Formen der Realisierung und offene Fragen. (Eine davon: Was machen die anderen?! Sie haben exakt die gleichen Voraussetzungen…das wird spannend…)
Aber: Wie angenehm, dass ich mir diesmal nicht selbst den Kopf über Technik zerbrechen muss.

* Die vielen offenen Fragen

Wie stelle ich klanglich eine VERBINDUNG zwischen dem Thema des Projekts und den Spielorten her?

Wie KLINGT DER ÖFFENTLICHE RAUM an den 5 unterschiedlichen Spielorten des Projekts? Zu unterschiedlichen Tageszeiten, bei verschiedensten Wetterbedingungen? Wie laut sind die Orte an sich?

Fügt sich „mein Klang“ ein? Irritiert er, stört er, erweitert er, bleibt er im Bereich des kaum Wahrnehmbaren und schleicht sich unbemerkt INS OHR?

Und wenn es konkreter wird in der Umsetzung:
Erklingt er durchgehend? Gibt es Momente der STILLE? Wie oft soll er erklingen?

Wie reagiert er auf die Umwelt(geräusche), wann geschieht INTERAKTION?
Wann ist das Mikrofon „scharf gestellt“, aktiv, wann setzen sich Prozesse der Klangbearbeitung in Gang, wann wird Klang abgespielt?
Was wähle ich als Trigger für Manipulation oder Playback, wo setze ich Schwellenwerte an?
Wie verarbeite ich akustische Informationen aus der Umgebung? Und warum genau so und nicht anders?

Und dann: Das Ganze geschieht FÜNF MAL (ich habe 5 Agenten)!
Machen alle Agenten exakt das Gleiche? Zur gleichen Zeit? Wie beeinflussen sich diese wiederum gegenseitig? Gibt es gesteuerte zeitliche Abläufe oder nicht? WELCHE ROLLE SPIELT DER ZUFALL? Wie klingt es, wenn die Agenten „sich selbst überlassen werden“?

* Auf Klangsuche

NORMALERWEISE verwende ich abstrakte Klänge, möchte Klang als Klang verstehen, nicht als Stilrichtung, Informationsträger, harmonisches Gefüge oder Emotion. (Darüber kann man lange diskutieren, hier halte ich es kurz.)
Im Rahmen dieses Projekts fällt meine Wahl jedoch auf einen steirischen JODLER. Ich kämpfe ein bißchen mit mir selbst – Tradition, Mehrstimmigkeit, „echte“ Musik! Und: Darf ich auf einen Jodler zurückgreifen, ihn ZWECKENTFREMDEN? Wieviel weiß ich darüber, habe ich ausreichend recherchiert, um aus diesem traditionsreichen musikalischen Pool zu schöpfen? Ehrlich gesagt, nein, habe ich nicht (!). Aber im Grunde suche ich vor allem klanglich nach einer Möglichkeit, meine Idee für diese Installation umzusetzen. Der Jodler passt für mich ins Konzept.

Im Internet gibt es genug Audioquellen, um einfach einmal drauflos zu experimentieren.
Im Netz finde ich die Seite der Sängerin und Jodlerin Ursula Scribano. Sie stellt Videos zur Verfügung, anhand derer man Jodler üben kann. Zu diesem Zweck teilt sie die Mehrstimmigkeit in die verschiedenen Einzelstimmen auf. Ich verwende eine Einzelstimme, die „Ansingstimme“ des Jodlers, als Klangmaterial und unterteile sie in 5 melodische Motive, DIE AGENTENZAHL 5 des technischen Setups dient hier als Vorbild. Aus diesen 5 Melodiefragmenten des Jodlers „Auf da Strah“ entsteht meine Komposition.
Ich GENIESSE es, mir den Jodler anzuhören. Das weckt Vertrautes, ist wunderschön zu hören, den Stimmverläufen zu folgen, aus diesen SPUREN etwas Neues zu schaffen. Es klingt.

* Realisierung

In meiner Komposition gibt es zwei KLANGEBENEN:
Eine Klangebene wird durch einen akustischen Trigger der Umgebung gestartet, d.h. sie erklingt immer dann, wenn es in der Umgebung laut ist. Diese Klangebene besteht aus den 5 Melodiefragmenten des Jodlers.
Die zweite Klangebene spielt autonom, ist also nicht von äußeren akustischen Einflüssen abhängig, und ist als permanente Klangfläche gedacht. Sie besteht aus 5 verschiedenen kontinuierlichen Frequenzbändern und ist aus den 5 Jodlerfragmenten entstanden. In diese Klangebene sind Pausen, Momente der Stille, eingebaut. Es ist daher auch möglich, NICHTS von der Klanginstallation zu hören.
Die Klänge beider Klangebenen werden in zufällig wechselnder Reihenfolge abgespielt.
So entstehen unterschiedliche Kombinationen der Soundfiles, unterschiedlich DICHTE und GEFÄRBTE Klangflächen, sowie variable Konstellationen und Mehrstimmigkeiten des Jodlers.
Ich entscheide, dass alle 5 Agenten gleich agieren. Alle 5 werden durch den selben PD-Patch gesteuert und benutzen die gleichen 10 Soundfiles.

* Notwendigkeiten

Ich habe FESTGELEGT
wieviele Klänge es gibt,
wie lange die einzelnen Klänge erklingen,
wie lange die PAUSEN zwischen den Klängen sind,
wann die Mikrofone aktiv sind,
wie die Interaktion mit der Umgebung stattfindet,
wie sensibel die Mikrofone auf die Triggerwerte reagieren.

* Im realen Raum

Ausprobieren im Zimmer, mit Steckdose, ungestört und in Ruhe, ist DAS EINE.
Hinausgehen, in den lärmenden öffentlichen Raum, mit aufgeladenem (?) Akku, mit ausreichend Tageslicht für die Solarzelle (?), und uninformiertem Publikum, ist DAS ANDERE.
Meine 5 Agenten haben zuhause Sonnenbäder genossen, auf Fensterbrettern und auf dem Balkon, um für den Test in freier Wildbahn gerüstet zu sein:
Ich sitze in Wien im Grünen Prater, mein Laptop steht in der Wiese auf einem Klapptischchen, die 5 Agenten liegen im Umkreis von 10 Metern verteilt in der Wiese. Rundherum Samstag-Nachmittags-Menschen, Vögel, Kinderstimmen, Wolken.

Verschluckt die Geräuschkulisse (Stimmen! Wind! Verkehr!) meine Klangkomposition?
Funktioniert das Netzwerk?
Wie klingt der Sound im Freien?
Hören sich die 5 Agenten gegenseitig?
Werden die Trigger zu oft gestartet?
Schaut jemand blöd? Fühlt sich jemand belästigt?
Ist jetzt der Akku leer? Oder die Wolke eh gleich vorbeigezogen…?

MEINE AGENTEN JODELN, klingen, schweigen. Funktionieren. Ich lausche neugierig. Als der Himmel zuzieht hören die Agenten auf zu spielen. Aber ich habe genug gehört – das Konzept geht auf, die Technik tut, was sie tun soll. Nur die Lautstärken und Triggerwerte werde ich dann für jeden Ort extra anpassen. Wie sich später herausstellt, wird in meiner Komposition zu viel gejodelt…

(Oktober 2022)

Pictures

Auf dem Balkon:
Aufladen der Akkus mit den Solarzellen

Prater

Der 1. Testlauf mit den Agenten: Wie funktionieren die Klänge, Lautstärke, Mikros und Trigger im öffentlichen Raum

Der 1. Testlauf mit den Agenten: Wie funktionieren die Klänge, Lautstärke, Mikros und Trigger im öffentlichen Raum

PD Patch

ACHTUNG STARTET AUTOMATISCH! Volume vorher runterdrehen!!

Jeweils 1 Soundfile der JODLFARBEN 1-5 (zufällig ausgewählt) spielt jeweils 50 Sek und startet nach einer Pause von 50 Sek wieder neu;
Beim Starten des Patchs beginnt ein zufällig ausgewähltes Jodlfarben-Soundfile zu spielen;
JODLER 1-5 werden durch die Inputlautstärke getriggert: Jeweils 1 Jodler wird zufällig ausgewählt und nach einer zufälligen Delay-Zeit gestartet.

Mikroeingang: Input-Volume wird heruntergefahren, wenn ein Jodler erklingt und danach wieder hochgefahren;
Input-Volume wird heruntergefahren, wenn eine Jodlfarbe erklingt und danach wieder hochgefahren.

Einstellungen nicht vergessen:
Mikrosensibilität einstellen;
Master Volume loadbang;
Jodler-Volume loadbang;
Jodlfarben-Volume loadbang + fade in Volume anpassen!

JODLFARBEN = kontinuierliche Frequenzbänder, aus den Melodiefragmenten entstanden
JODLER = Melodiefragmente des Jodlers

Link zum GitLab Repository

Code herunterladen: https://gitlab.mur.at/pirro/klangnetze/-/tree/main/jodel-polyphonie